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Leistadter Ortsvorsteher Axel Günther hält Rede zum Volkstrauertag 2022

Redetext zum Volkstrauertag 2022 von Ortsvorsteher Axel Günther

Ich begrüße Sie und Euch zu unserer alljährlichen Zusammenkunft des Gedenkens hier an diesem Ort, wo für dieses Gedenken vor vielen Jahren ein Mahnmal mit den Namen der Mitbürger aus unserem Dorf errichtet wurde, die in den beiden Weltkriegen ihr Leben verloren. Allein die große Zahl der Namen verdeutlicht das Leid, aber der Versuch, sich das Schicksal des Einzelnen und seiner Verwandten vorzustellen, führt stets an die Grenzen der Verzweiflung darüber, was Menschen sich mit Kriegen antun.

Seit es den Volkstrauertag als Gedenktag gibt, bezweckt er die „Versöhnung über den Gräbern“, wie es die Kriegsgräberfürsorge als Motto benennt und dieses Motto gab uns in den vielen vergangenen Jahren das Gefühl, dass diese kriegerische Gewalt überwunden ist und sich die zivilisierten Nationen in Europa auf dauerhaften Frieden verständigt und eingerichtet haben. International wurden Angriffskriege geächtet und der Respekt der Nationen untereinander zur Maxime internationaler politischer Kultur erhoben.

Mit diesem Jahr hat sich sehr viel geändert: Plötzlich ist Krieg in Europa nicht nur wieder denkbar, sondern blutige Realität. Aus unserem traditionellen Gedenken, das die Forderung erhob: „Nie wieder Krieg“, wird ein Protest gegen den Krieg, allerdings in einer Form der Solidarität mit den angegriffenen Opfern und einer Unterstützung ihrer militärischen Verteidigung auch durch die Lieferung von Waffen.

Volkstrauertag 2022
Vereinigter Sängerbund Leistadt

Wir sollten aber wissen: Unsere aus der Erfahrung der beiden Weltkriege geschöpfte Ablehnung von Krieg, unser in der Vergangenheit in unterschiedlichen Formen gelebter Pazifismus als Grundlage einer engagierten Friedenspolitik wird nicht dadurch falsch, dass uns jetzt die Unterstützung der militärischen Verteidigung der Ukraine die einzig denkbare Möglichkeit erscheint, der Aggression Russlands zu begegnen. Wir wandeln uns dadurch nicht rückwärts vom Paulus zum Saulus. Wir erleben allerdings deutlich spürbar, wie schmal der Grat ist zwischen einem aufrichtigen Pazifismus und der Bereitschaft zu militärischer Hilfe.

Und wir erleben, dass es auch einen falschen, irrigen Pazifismus geben kann, der bereit ist, Mitmenschen und ganze Völker fallen zu lassen. Das vielfache Leid, das in der militärischen Auseinandersetzung auf allen Seiten hervorgerufen wird, auch aktuell auf Seiten der russischen Familien, deren Söhne in diesen unsäglichen Krieg geschickt werden und dieser Söhne selbst, erinnert uns an das Leid, das uns hier am Volkstrauertag zusammenführt. Wir nehmen im Gedenken Anteil an dem Leid und trauern wegen der Gewalt, die sowohl die Ahnen unserer Mitbürger als auch die Opfer der damals von Deutschland ausgehenden Aggression zu erleiden hatten. Es ist dieses Gedenken, das uns wachhält und halten muss in dem Ziel, dass kriegerische Gewalt und Aggression nicht sein dürfen.

Auch daran mahnt uns unser Gedenken am Volkstrauertag. Wir müssen aufmerksam differenzieren; die Ablehnung militärischer Gewalt dürfen wir nicht aufgeben, aber den von solcher Gewalt Überfallenen beistehen und uns dafür einsetzen, dass der Gewalttäter nicht die Oberhand gewinnt, verbindet uns menschlich. Wir müssen auch an uns denken, nämlich an die Zukunft, in der wir auch nicht überfallen werden wollen, weil sich womöglich das Prinzip der rücksichtslosen Gewalt durchgesetzt hat. Wir müssen auch an unsere eigene Freiheit denken.

Gehen wir einen Moment in die Zeit, die uns im Gedenken am Volkstrauertag zusammenführt: Am Anfang des zweiten Weltkrieges war es in Amerika die politische Mehrheitsmeinung, sich aus diesem vermeintlich europäischen Konflikt herauszuhalten und selbst in England gab es eine recht verbreitete Auffassung, dass man der Hitler-Aggression durch Verhandeln und Nachgeben schließlich den Antrieb nehmen könne. Und dann überfiel dieses Deutschland seine Nachbarn, einen nach dem anderen, besetzte noch mit Nachsicht des Auslands Österreich und Tschechien und provozierte dann mit dem Überfall Polens die englische Sicherheitsgarantie, die sofort mit dem weiteren Überfall auf Frankreich herausgefordert wurde, an den sich parallel der Überfall auf Holland anschloss und mit der Besetzung der Ukraine fortgeführt wurde.

Das müssen wir immer im Kopf haben: Damals war Deutschland ein brutaler Aggressor, der seine Nachbarn überfiel und unendlich Leid und Tod über sie brachte. Und es waren dann die Alliierten, die uns durch ihren militärischen Widerstand befreiten, denn mit uns meine ich hier die Deutschen, die seither befreit in der Ordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik leben.

Leistadt Volkstrauertag 2022
Vertreter der Vereine gedenken ihren verstorbenen Mitgliedern bei der Veranstaltung mit einer Fahnenwache.

Die Namen der Leistadter Mitbürger, die in den von Deutschland ausgehenden Weltkriegen ihr Leben verloren, sind hier auf dem Mahnmal verzeichnet, aber nicht die zahllosen Namen der überfallenen Opfer, die wir uns hinzudenken müssen. Beim Volkstrauertag schließen wir alle im Gedanken der „Versöhnung über den Gräbern“ in unser Gedenken ein.

Als im Sommer diesen Jahres oben im Leistadter Wald ein Gedenkstein für die Besatzung eines alliierten Bomberflugzeugs eingeweiht wurde, erhielt ich Zuschriften mit der Kritik, dass es sich doch um Angreifer gehandelt habe, die Bomben auf Deutsche abwarfen. Wir haben also noch viel vor uns, wenn wir uns hier zur „Versöhnung über den Gräbern“ treffen. Versöhnlich war hingegen die Information, dass nach dem Flugzeugabsturz im Wald die Reste der verbrannten Mannschaft des Flugzeugs von Leistadtern geborgen und hier auf unserem Friedhof christlich beigesetzt wurden.

Das war noch während des Krieges und zeigt, dass auch in diesem Deutschland damals noch nicht alles verdorben war. Und für die Angehörigen der damals ums Leben gekommenen Flugzeugbesatzung war es ein wichtiger später Trost, genaue Kenntnis zu erlangen, wo ihre Verwandten damals ums Leben kamen. Spürbar wurde, wie wichtig eine Erinnerungskultur ist. Und das zu wissen besagt, wie wichtig es heute ist, die Forderung „Nie wieder Krieg“ und die Ablehnung militärischer Gewalt mit der Bereitschaft zu verbinden, der Bevölkerung der Ukraine und ihrem Staat beizustehen, ohne damit zugleich wieder die militärische Gewaltoption zu öffnen, die einst Deutschland zum Verbrecher machte.

Leistadt Volkstrauertag 2022
Frühere Generationen haben in kunstvoller Handarbeit Vereinsfahnen gestickt, die in Ehren gehalten werden.

Das gemahnen uns auch die, die zum Opfer fielen und an die hier auf dem Mahnmal erinnert wird. Unser Gedenken soll uns befähigen, für eine friedliche Welt einzutreten und Krieg abzulehnen, aber auch Kriegsopfern beizustehen und verteidigungsbereit zu sein, weil es sonst keine bessere Welt geben kann.

In diesem Gedenken will ich also im Namen der Leistadter Bevölkerung und im Gedenken an die Opfer, die hier verzeichnet sind, einen Kranz niederlegen und bitte um eine Minute des gemeinsamen Schweigens.

Autor

Anwohner der Hauptstraße in Leistadt. Rechtsanwalt - Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz. Kanzlei in Leistadt. Vorsitzender des Protestantischen Kirchbauverein e.V. Vorsitzender Kerwe-Ausschuss im Jahr 2014. Ortsvorsteher seit Juli 2019

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